Kino ohne Talent
roman

Das Grauen der Tiefe: Kapitel XXIV

09.09.2010 - 12:42 von Redaktion

Als grelles Licht in ihr Gesicht schien, erwachte Isabell, sie lag auf einer Bank in einer Werkstatt. Weiter hinten in einer verglasten Kanzel saß ein Mann und döste in einem Sessel. Als Isabell langsam und leise aufstehen wollte, trat sie in etwas Weiches.
"Arghhhhhh", schrie das Bündel auf dem Boden vor dem Tisch, in das sie getreten war.
Der Mann im Stuhl schreckte hoch und fuhr herum. Der am Boden liegende packte Isabell am Bein und riss sie zu Boden. Im Fallen stieß sie mit dem Kopf gegen eine andere Werkbank und stieß sich den Ellenbogen an einer der offen stehenden Schubladen. Für kurze Zeit tanzten Sterne vor ihren Augen. Der erste Mann stand auf und hielt sich die Seite, in die Isabell getreten war.
Der andere kam zu ihnen und guckte die beiden an: "Allet okay, Keule?"
Isabell rappelte sich zitternd auf und fragte: "Wer seid ihr, und was wollt ihr von mir?"
"Zu alla erst wär mal nen Name nich schlecht", sagte der Mann mit den Werkzeugen.
"Na dann nenne ich dich Thomas …", sagte sie und zeigte auf den mit den ganzen Werkzeugen, "und dich Andrew", zeigte dabei auf den Mann mit den Ketten am Gürtel, der sich noch immer am Boden krümmte.
"Nee nich für uns, sondan dein' Namen", sagte der mit den Werkzeugen.
"Ach so, ich heiße Isabell."
"Na, jeht doch, ick heiß' Thul. Und den da unten nennse Kette", sagte er.
"Bin ich jetzt eure Gefangene?"
"Nee, warum ooch, was solln wan mit dir anstelln?"
"Versklaven? Verkaufen? Vergewaltigen? Aufressen?"
"Ok, wir lebn hier unten zwar nich jerade im Übafluss aber soweit jehn wa dann doch nich. Mensch'n futtern? Sehen wa aus wie de Kannibalenvejaner ausm P'Berg?"
"Wie bitte?"
"Kannibalenvejaner ausm P'Berg", sagte Kette, der sich jetzt aufgerappelt hatte.
"Die, die sich Müllsäcke anziehen und Jungfrauen verspeisen wollen?"
"Dit mit den Jungfraun iss hier eha selten, aba ansonsten jenau die. Ok, da wa nich die christliche Wohlfahrt sind, kommt jezze eene für uns üba aus interessante Fraje. Wat kannste ?", fragte Thul.
"Ähm, ich kann Yoga und Ballett, ich spreche fließend Französisch, ich kann Ikebana, ich studiere gerade Modedesign, engagieren mich in der Antikriegsbewegung, bin Mitglied bei Peta und ich kann reiten malen, singen und mache Kunstturnen", antwortete Isabell
"Na super, ne singende Hupfdohle, die nich ma jagen kann und kämpfen nich mag." fasste Kette zusammen.
"Ich schätze, wennse 'nen Nagel in die Wand schlagen will, holt sie erst mal 'ne Bohrmaschine", setzte Thul nach.
"Und was könnt ihr bitte so tolles?", fragte Isabell trotzig.
"Feiln, nich nur die Fingernägel, Bohren, Schweißen, Bördeln, Schweifen, Löten und weetere Metallbearbeitung und Konstruktion", antwortete Thul
"Uffklärung, Hintahalte stellen, Materialbesorjung, asymmetrische Kriegsführung, Schanzarbeiten, Festungsbau, Jeiselbefreiung, Fechten, Attentate, aktive Sterbehilfe und postnatale Abtreibung", sagte Kette
"Ihr seid kulturlose, grausame, menschenverachtende Barbaren", sagte Isabell.
"Jo, da haste Recht, aber dit wichtichste haste vajessen, meene Liebe. Wir sind lebendije, kulturlose, grausame und menschenvaachtende Babaren", grinste Kette sie an.
"Mit Friede, Freunde, Eierkuchen und Plenumse zu jem Scheiss kommste hier nich weit. Dit iss hier in Altberlin dit Expressticket in de Jrube", sagte Thul.
"Was macht ihr hier unten eigentlich? Es wimmelt doch hier unten nur so von Monstern, Katakombenkrüppeln und anderen Mutanten", sagte Isabell
"Monsta?", fragte Kette.
"Katakomben wat?", fragte Thul.
"Na, uns erzählt man, dass hier unten nur schreckliche Katakombenkrüppel und andere Mutationen hausen. Und das die Städtische Schutztruppe uns davor beschützt."
"Naja, Krüppel jibts hier schon nen paar, spätestens seit Thul Minen herstellt", sinnierte Kette
"Aber wat solln Mutationen sein?"
"Na, Menschen, die durch dauerhafte genetische Veränderung sich anders entwickeln."
"Hä?", fragten Kette und Thul im Chor.
"Naja, zum Beispiel wenn Menschen eine dritte Brustwarze haben, zum Beispiel", sagte Isabell
"Ach. so Missjeburten. Ja, die gibts hier ab und zu, meistens bei de Wölfe. Die sind ja absolut bemüht, ihr Blut 'rein' zuhalten und so. Deshalb sind da alle mit einander verwandt."
"Inzest?", fragte Isabell nach.
"Wenn dit heißt, dit der Vater mit der Tochta, die Mudda mit'm Sohn und der Bruder mit der Schwester schläft, denn – ja", erklärte Thul.
"Igitt, das ist ja widerlich."
"Wir ham nie wat anderet behauptet", sagte Kette.
"Also was macht ihr hier unten denn nun?", fragte Isabell noch einmal.
"Leben, janz einfach", kam es von Thul
"Das ist doch kein Leben hier", sagte Isabell zeigt auf die Werkstatt um sich herum.
"Wie willstn dit dann nenn'?"
"Tot sind wa jedenfalls nich. Sind wa jezz untot?", fragte Kette.
"Es ist ein jämmerliches Dasein das ihr hier führt."
"Also jämmerlich iss anders, find ick. Ick bin meen eijener Herr und keener kann mir wat vorschreiben. Ick find dit großartich", sagte Thul.
"Ihr lebt im ständigen Kriegszustand. Mein Gott. du schläfst mit einem Maschinengewehr als Kopfkissen. Wann habt ihr das letzte Mal in einem Bett gelegen? Oder die Sonne genossen? Wann seid über eine grüne Wiese gelaufen? Könnt ihr mir das sagen?"
Kette und Thul gucken sie blöde an.
"Halt Abstand, die redet wirr", flüsterte Kette verschwörerisch zu Thul.
"Vielleicht hatse Fiebafantasien, oder ick hab jestern doch zu fest zujehauen?", flüsterte dieser zurück.
"Wat solln diese Sonne sein? Oda, ne Wiese?", fragte Kette.
Jetzt war Isabell dran mit blöde gucken.