Das Grauen der Tiefe: Kapitel XVI
09.09.2010 - 12:42 von RedaktionIsabell wurde unsanft aus der Hängematte und ihrem Schlaf gerissen. Ehe sie richtig wach war, war sie auch schon an eine Eisenstange gefesselt und verschnürt und wurde an dieser nach draußen getragen. Draußen wurde die Stange in den Boden gerammt, dass sie mit den Füßen den Boden berühren konnte. Auf mittlere Entfernung sah sie aus wie ein großer Rollbraten. Auf der Platzmitte brannte ein mächtiges Feuer, das aussah, als ob irgendetwas Riesiges darauf geröstet werden sollte. Die Dorfbewohner hatten anscheinend ihre beste Kleidung angezogen und guckten sie gierig an.
"Was geht hier vor sich?", fragte sie panisch.
Der Häuptling ging zu ihr und sagte: "Ich sagte doch schon bei eurer Ankunft, dass wir euch zum großen Lapau-lapau in unsere Gemeinschaft aufnehmen werden. In diesem Fall ist das wörtlich gemeint."
An seinen Stamm gewandt sagte er: "Töchter und Söhne der unwürdigen Dunkelheit, es ist soweit. Der Moment naht, wo wir die Erlaubnis erhalten, ins Ewige Licht zu ziehen. Jedoch dürfen nur jene ins Ewige Licht, die das Wahrhaft Göttliche in sich tragen. Dies gilt es heute zu erreichen."
"Wollt ihr mich etwa essen?", fragte Isabell.
"Nur wer das Wahrhaft Göttliche in sich trägt, darf ins Licht ziehen, und ihr seid eine Jungfrau aus der Lichtwelt, göttlicher könnten wir es nicht haben", sagte er zu ihr.
"Ich bin aber im August geboren und somit Löwe."
"Unser Medizinmann hat sich gestern Nacht ausgiebig damit auseinander gesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass ihr Jungfrau seid."
"Ihhh! Dann war das gestern Nacht doch nicht nur ein Traum."
"Wahrscheinlich nicht."
"Und der Leibwächter sollte mich nicht schützen, sondern bewachen?"
"Korrekt, euch und eure Jungfräulichkeit, sonst wäre er ja ein Leibschützer", schloss der Häuptling.
"Söhne und Töchter, bereitet euch auf das letzte Mahl in der Dunkelheit vor. Heute Abend werden wir zusammen mit den Herren des ewigen Lichts speisen."
Der Stamm brach in Freudenschreie aus und der Schamane wetzte seine Ritualmesser.
Auf einmal heulte ein Motor laut auf. Eine Maschinengewehrsalve fegte durch die Reihen der Kannibalen und wütete schrecklich unter ihnen.
"Ihr barbarischen Untermenschen werdet keine unserer Volksgenossinnen fressen!", rief der Fahrer und raste auf den Dorfplatz.
Eine zweite Salve aus dem MG, das an dem Beiwagen befestigt war, vertrieb einen Großteil der Kannibalen, die noch laufen konnten. Einige kamen mit Lanzen und Speeren zurück, um sich zu verteidigen.
Hinter dem Gespann, das zuerst kam, folgte noch eine zwanzigköpfige Gruppe, bewaffnet mit Flammenwerfern und Sturmgewehren, die mit den Rest des Stammes kurzen Prozess machten.
Der Motorradfahrer ging zu einem Mann, der wichtig aussah: "Sieg Heil! Oberfeldwebel Meier, melde gehorsamst Dorfplatz gesichert. Wir konnten eine Geisel des Stammes befreien. Ein Großteil der Kannibalen ist tot, der Rest ist feige geflohen.".
"Sehr jut, Feldwebel Froid, sajen sie dem ersten Schützenzuch von Rottenführer Müllner, er soll de Verfoljung uffnehmen. Zeijen se mir mal die Befreite, vielleicht können wa ja wat mit ihr anfangen", sagte der Offizier.
"Wenn der Herr Oberfeldwebel erlauben, mir und den Männer fällt immer etwas ein, was wir mit Weibsbildern anfangen können, für die der Führer keine Verwendung hat", grinste der Feldwebel dreckig und zahnlos.
"Ja ja, Feldwebel, lassn se dit mal'n Führer entscheiden."
Als die beiden Männer bei Isabell ankamen, betrachtet sie der Offizier eingehend, schlug dann die Hacken zusammen und sagte zackig: "Heil Schnitzelgruber! Sie wurden vom 4. Schwadron der 2. Division der sozialistischnationalen V-Macht Abschnitt Prenzlauer Berg befreit."
An den Feldwebel gewandt sagte er: "Froid, se werden zusammen mit Schütze Hinter die junge Dame hier uff kürzestem Weje zu unserem Hauptquartier nach Köpenick jeleiten."
"Herr Oberfeldwebel, der kürzeste Weg führt durch Alt-Fhain, dort kommen wir höchstens mit einer Panzerdivision halbwegs durch. Darf ich für eine solch wichtige Frach … ähh Person den Umweg über Wedding und Weißensee vorschlagen?"
"Jut mitjedacht, Kamerad"
Der Oberfeldwebel kritzelte währenddessen etwas auf ein Blatt Papier, steckte es in ein Kuvert, verschloss es und überreicht es dem Feldwebel mit den Worten: "Jeben se' dit Kuvert beim Oberst ab, dit enthält ihre Beförderungsempfehlung. Und nu, Abmarsch!"
"Zu Befehl, Herr Oberfeldwebel!", brüllt der Feldwebel.
Er schnitt Isabell los, begleitete sie zum Motorradgespann und half ihr beim Einsteigen. Danach startete er den Motor, und sie fuhren los.
"Es kann ja nur besser werden", sagte Isabell leise zu sich.