Das Grauen der Tiefe: Kapitel XXVIII
09.09.2010 - 12:42 von RedaktionEdgar stürzte völlig außer Atem in Hauptkommissar Schmidts Büro, doch er war nicht da. Daher erkundigte er sich an Eingang bei dem schon ergrauten Wachmeister, der hinter einer Panzerglasscheibe saß, nach Schmidt.
"Junger Mann, wenn sie nicht so überstürzt an mir vorbei gerannt wären, hätte ich ihnen auch sagen können, dass der Herr Hauptkommissar im Krankenhaus ist", sagte er zu ihm
"Was?"
"Das heißt: 'Wie bitte?' Die Grundformen der Höflichkeit können wir ja trotz des Ranges wahren, nicht wahr?"
"Jetzt reiten Sie hier nicht auf Benimmregeln rum, sondern verraten Sie mir, was dem Hauptkommissar passiert ist, dass er ins Krankenhaus musste!"
"Keine Angst, dem ist nichts passiert, der ist robust."
"Warum ist er dann im Krankenhaus?"
"Befehl."
"Von wem? Himmel Herr Gott."
"Kommt dem schon ganz nahe, aber so groß dann doch wieder nicht. Der Großkommandant wurde Opfer eines Giftanschlags. Hauptkommissar Schmidt vermutet einen Zusammenhang mit den Abgeordnetenmorden und ist deshalb los, um den Großkommandanten zu befragen."
"In welchem Krankenhaus sind die beiden?"
"Charity-Krankenhaus, hier gleich um die Ecke."
Zehn Minuten später kam Edgar im Krankenhaus an. Am Eingang fragte er nach dem Zimmer des Großkommandanten. Die Dame am Informationsschalter sagte ihm jedoch, dass sie es ihm nicht sagen dürfe. Nachdem Edgar ihr seine Dienstmarke unter die Nase hielt, telefonierte sie kurz. Nach dem Gespräch meinte sie, er möge sich noch kurz gedulden, es werde gleich jemand für ihn da sein.
Kurze Zeit später kam ein Leutnant der Schutztruppe, begleitet von zwei einfachen Gefreiten mit G54-Sturmgewehren von Hecksler und Loch, schuss- und stichsicheren Kevlarpanzerungen und Schutzhelmen mit Breitbandscannern, ins Foyer. Dieser Trupp hätte das ganze Foyer in Sekundenbruchteilen zusammenschießen können. Aber wozu wurden hier solch schwere Geschütze aufgefahren?
"Kommissar Müller?", fragte ihn der Leutnant.
"Ja, ich wollte zu Hauptkommissar Schmidt. Man sagte mir, dass er hier sei."
"Das stimmt, er befindet sich beim Großkommandanten. Wir begleiten Sie. Für den Großkommandanten gilt nach dem Anschlag die höchste Sicherheitsstufe."
"Wie steht es mit den restlichen Abgeordneten?"
"Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben."
Als sie den Fahrstuhl, der sie ins oberste Stockwerk brachte, verließen, war Edgar beeindruckt. Das Stockwerk war zu einer Festung ausgebaut. Schwere Infanterie, MGs, halb- und vollautomatische Granatwerfer; auf dem Dach stand, das erkannte Edgar durch eine der Dachluken, eine vollautomatische 3cm FLAK und Selbstschussanlagen an allen Ecken und Enden.
'Alles nur angemessen für den Schutz des Großkommandanten', dachte Edgar.
Als er das Zimmer des Großkommandanten betrat, sah er, wie Hauptkommissar Schmidt ihm gerade Bericht erstattete.
"Dit tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dit wa bisher keene neu'n Erkenntnisse jewinnen konnten."
'Ha', dachte sich Edgar, 'das ist der Moment, in dem ich beweisen kann, was ich drauf hab.'
"Das stimmt so nicht, Herr Hauptkommissar", fiel er dem Hauptkommissar ins Wort.
"Ich habe heute Abend einen Hinweis auf die Täter erhalten."
"Du? Du bemerkst doch nen Hinweis erst, wenn man ihn dir anne Birne wirft."
"In gewisser Weise war es auch so. Als ich heute Abend mit meiner Freundin essen war, warf ein Vermummter einen Stein auf das Restaurant, in dem wir saßen und zielte dabei auf mich. Zu meinem Glück prallte der Stein an der Scheibe ab."
"Wenn nich, wär' ooch nich so schlimm jewesen", murmelte der Hauptkommissar zu sich.
"Jedenfalls war der Stein in ein Bekennerschreiben eingewickelt, aus dem hervorging, dass eine Gruppe, die sich WKEA nennt, für die Anschläge verantwortlich ist. Sie fordert die Berliner Polizei dazu auf, sich binnen einer Woche aufzulösen, sonst würden weitere Abgeordnete sterben", erzählte Edgar.
"Dit nimmst du doch nich für voll, oda?"
"Was meinen sie damit, Herr Hauptkommissar?", fragte Edgar irritiert.
"Eene Gruppierung, die it schafft, zwee Abjeordnete und beinahe noch den Großkommandanten um die Ecke zu kriejen, soll zu blöde sein, zu wissen, dit man ne Plexiglasscheibe nicht mit nem Stein einschmeißen kann? Dit iss jezze nich dein Ernst?"
"Na na na, nun kritisieren sie nicht die glänzende Arbeit ihres Kollegen", sagte der Großkommandant zum Hauptkommissar.
"Während sie zum Dienstschluss alles haben stehen und liegen lassen, um zu ihrer Geliebten zu eilen, ist unser junger Freund auch nach Feierabend noch im Dienst. Das ist doch einmal vorbildlicher Diensteifer."
Bei diesen Worten strahlte Edgar übers das ganze Gesicht, und Hauptkommissar Schmidt ballte die Fäuste in der Jackentasche.
"Jetzt, wo sie wissen, wer der Täter ist, könne sie ja gegen ihn vorgehen. Bloß nicht die Fühlung verlieren."
"Jawohl, Herr Großkommandant", salutierte Edgar.
Zusammen mit Hauptkommissar Schmidt verließ er das Zimmer.
"Oh man, wennset könnten, würd'n se hier oben uff dem Dach nen Panzer parken", sagte Hauptkommissar Schmidt und deutete nach oben auf das Dach.
"Warum nicht? Wenn es dem Schutz des Großkommandanten dient?"
"Weil ick anzweifeln möchte, dit der Großkommandant in Jefahr schwebt."
"Was meinen sie damit, Herr Hauptkommissar?"
"Wie ick vorhin schon sachte, du kannst doch nicht ernsthaft dran glooben, dass eene Gruppe die et schafft, zwei, zum Teil schwer bewachte, Abjeordnete zu töten, an einer simplen Plexiglasscheiben scheitert."
"Wie kommen sie dazu, das diese Gruppe so hoch professionell sein soll?"
"Na, dit iss doch janz einfach. Dit iss verdammt schwer, in Neuberlin an eene Dienstwaffe der Polizei zu kommen, wenn man nich inna Polizei iss. Es iss übahaupt verdammt schwer, an irgendeene Knarre zu kommen. Aba die haben dit jeschafft. Sie haben es ooch jeschaft, dit se eenen Abjordneten jezielt vajiftet haben, ohne dass se alle Lebensmittel großflächig verseuchen mussten. Und beinahe haben sie noch unseren Chef um de Bieje jebracht. Dit sind keene Fuscha wie dein Depp im Restaurant."
"Da ist durchaus etwas dran, Herr Schmidt."
"Ick wees, Ede, ick wees. Lass uns Feijerabend machen, ick werd' heute nicht mehr alt."
"Jetzt Feierabend machen, wo wir doch ein heiße Spur haben?"
"Ede, wat iss dir lieba? Mit deena Süßen den Rest des Abend uff da Couch rumlümmeln, oda dit wa uns dit im schnuckelig kuscheligen Archiv bei schummeriger Beleuchtung bequem machen und dort die Nacht mit'nander vabringen. Na, wat willste?"
"Bei allem Respekt, Herr Hauptkommissar, aber sie sind echt nicht mein Typ."
Hauptkommissar Schmidt lachte laut.
"Keene Angst, meen Kleener, ick steh nicht uff Jungs."
Während der Unterhaltung waren sie durch das Foyer gegangen und verabschiedeten sich voneinander und verschwanden im Dunkel der Nacht.