Kino ohne Talent
roman

Das Grauen der Tiefe: Kapitel XXXIII

09.09.2010 - 12:42 von Redaktion

"Habt ihr nichts veganes hier unten?", fragte Easy.
"Ähh doch, jezze, wo de so frachst. Hinterm Haus hab ick noch nen Jemüsebeet, mit Erbsen, Jurken, Radieschen, Kartoffeln und Möhren", sagte Thul.
"Vergiss nicht die wunderschöne Blumenwiese gleich daneben", fügte Kette hinzu.
"Oh, das ist doch mal was Tolles, das muss ich mir unbedingt angucken", freute sich Easy.
Sie ging durch die Tür, auf die Thul gezeigt hatte und stand vor einem grauen, trostlosen Haufen Waffenschrott. Verbogene Gewehre, explodierte Kanonenrohre und ausgebrannte Motorräder waren innerhalb eines großen, aus allen möglichen Sachen zusammengeschweißt- und geschraubten Zauns aufgetürmt.
"Wenn ma dir erzählt, im Himmel iss Jahrmarkt, jehste ooch los und fragst nach Karten, wa?", bemerkte Kette, lässig an den Türrahmen gelehnt.
"Wie bitte?"
"Du gloobst aba ooch allet, watt dir so erzählt wird, oda? Soviel iss bei mir von Aknes' Pflanzenkunde hängenjeblieben: Ohne Ufau-Licht keen Wachstum. Und wir haben hier unten noch nich ma Saat-Dingensbumsens. Wir ham zwar Samen hier unten, aber da kommt keen Jemüse bei raus."
"Was meinst du damit?"
"Vonna Sache mit den Bienen und den Blümchen ham se euch da oben aba schon erzählt?"
"Ach so, ja, hat man, du wirst es kaum glauben. Könntest du dich bitte bemühen, das Niveau wieder annähernd auf Augenhöhe zu bringen?"
"Ick versuchs ja, aber du präsentierst mir imma wieda so zauberhafte Steilvorlagen."
"Ich verpasst dir gleich eine Steilvorlage. Dann hat sich das bei dir aber vorerst erledigt mit Bienchen und Blümchen."
"Dit will ick sehen", sagte Kette und grinste Easy schelmisch an.
Easy holte zu einer Ohrfeige aus, die Kette jedoch lässig blockte und sie dabei immer noch angrinste. Das Grinsen ging jedoch zügig in eine Leidensmiene über, nachdem Easy Kette schnell hinter einander mit den linken Fuß vor das Schienbein trat und ihm das rechte Knie zwischen die Oberschenkel rammte. Mit einem leisen Stöhnen ging Kette leise in die Knie. Als er auf dem Boden kniete und Easy neben ihm stand, setzte sie ihren Fuß gegen seinen Oberarm und schubste ihn um. Kette blieb liegen, sie ging zurück in die Werkstatt.

Fünf Minuten später ging Thul in den 'Gemüsegarten', um nach seinem Kumpel zu sehen. Er fand ihn zusammengekrümmt, mit den Händen im Schritt, auf dem Boden liegend vor.
Er kniet sich zu ihm, fasste ihn an der Schulter und fragte: "Keule, allet ok bei dir?"
Ein leises, hohes "Miiieeep" war der einzige Ton, den Kette raus brachte.
"Ey, Keule, wat iss mit dir?"
"Easy hat mir jekonnt in die Eier getreten", ächzte Kette
"Okay jezz reichts! Die Schnalle mach ick platt", schrie Thul und packte den schweren Rollgabelschlüssel an seinem Gürtel.
Kette packte ihn am Gürtel und hielt ihn fest: "Nee nee neee! Ick hab jestenkert."
"Lass mir raten, du hast jepöbelt wien Großer und uff die Eier bekommen wien Kleener?"
"Jo."
"Na jut, dann komm mal wieder uff die Beene und rinn, musst ja nich unnötich meen schönen Jarten vaschandeln."
Während er sprach, half er Kette wieder auf die Beine zu kommen.
Als sie wieder die Werkstatt betraten, saß Easy schmollend mit verschränkten Armen in einer Ecke und guckte zu einem, zur Schießscharte umgebauten, Fenster raus.
Kette ging steifbeinig zur Munitionspresse während Thul sich an Easy wandte: "Ey, sach mal, gloobst du, wir sind hier inna Pension 'Zur schönen Aussicht', oder warum glotzt du da so unproduktiv aus'm Fensta? Ick jeb dit ja zu, dit dit von Kette nich die feine englische Art war, aber ihr habt dit eindeutich jeklärt, und du hast keenen Grund mehr zum Schmollen. Entweder bringste dir jezz hier ein oder jehst raus. Wir sind hier keene Wärmestube für Jestrandete."
Easy guckte Thul an: "Sag mal, was erwartest du eigentlich von mir? Ihr macht euch die ganze Zeit über mich lustig, respektiert mich und meine Ansicht in keiner Weise, und dann soll ich euch noch zu Diensten sein? Da hätte ich ja auch gleich bei Kommissar Ursow oder diesen Idioten von den Schwarzen Wölfen bleiben können."
"Na na na, bitte setz uns jezze nich mit diesen faschistischen oder stalinistischen Wirrköppen gleich. Im Jegensatz zu denen kannste bei uns jederzeit jehen, wenns dir nich mehr passt. Ooch wenn wir dir veralbern und nen wenig ärjern, würde sich keener von uns an dir vagreifen, noch würden war dir im Stich lassen, solange du uns untastützt. Und zu juter Letzt ist deene einzije Pflicht, wennde hier bleiben willst, dit de am Bestehen von unsam Kollektiv mitwirchst", beendet Thul seinen Vortrag.
"Ich will aber gar nicht Mitglied sein in eurem blöden Kollektiv. Ich will zurück nach Hause!", sagte Easy trotzig.
"Und wie stellste dir dit vor?"
"Keine Ahnung, ich kenne mich hier unten ja nicht aus."
"Es jibt zwee Zujänge nach draußen …"
"Aber, wenn es Ausgänge gibt, was hält euch dann noch hier unten?", fiel Easy ihm ins Wort.
"Diese sojenannte Städtische Schutztruppe."
"Nein, du musst dich irren. Die Städtische Schutztruppe beschützt uns vor dem kriminellen Abschaum, den Mutanten und den Katakombenkrüppeln die hier unten lauern."
"Aha, danke für de Blumen. Wat meenst du, als was ick da oben bei dir durchjehen würde mit meem Handwerch?"
"Als nicht-lizensierter Waffenhersteller? Da wärst du … kriminell."
"Und würdeste mir hier als Kriminellen bezeichnen?"
"Nein."
"Trotzdem komm'n wa nich durch."
"Ey, könnt ihr euer Teekränzchen uff später valejen? Wir haben immerhin noch wat zu tun", rief Kette von der Munitionspresse herüber.
"Ja ja", antwortete Thul.
"Ja ja heißt, leck mir am Arsch, und du, Thul, bist echt nicht meen Typ."
"Ick wees jar nich, watte hast. Durchtrainiert, keen Gramm zuviel und'n sexy Overall an", antwortete Thul, spöttisch wie ein Pin-up-Girl posierend.
"Ick sach ma so, du bist ma eindeutich zu maskulin."
"Ihh, kiek mal, der kann Fremdwörta", sagte Thul zu Easy, und zu Kette: "Wat solln dit heissen zu maskulin? Die Weiber in deinen Schmuddelheften sehn, abjesehn vonne Brüste und de langen Haare, ooch nicht großartig anders aus als icke."
"Ey Keule, janz einfach, deine Brüste sind mir zu kleen und deine Klitoris iss mir eindeutich zu groß jeraten. Aussadem ham die keene zentimetadicke Maschinenfettschicht uff da Haut."
"Jo, mag sein, aba damit flutscht dit bessa", sagte Thul.
Easy verzog während dieses absurden Dialogs angewidert das Gesicht.
Kette bemerkte es zuerst: "Ahh kiek mal, da hat eener janz arges Kopfkino, hahaha!"
"Ey, ganz geschmeidig bleiben, Easy", sagte Thul
"So wie du vielleicht?", antwortete sie bissig.
"Wir ham da noch ne Tube Maschinenfett uff Laja. Wenn de willst, kann ick dir damit den Rücken einschmiern."
Bei den letzten Worten ging er schnell in Deckung, denn Easy hatte sich die gusseiserne Pfanne gegriffen und wollte sie gerade in Kettes Richtung schleudern, als Thul rief: "Ey nee, nich die!", und riss damit Easy die Pfanne aus der Hand.
"Nimm lieber die hier, die kann ick hinterher uffm Amboß wieder grade dengeln", sagte er und drückte ihr die schmiedeeiserne Pfanne in die Hand.
Sie stürmte auf Kette zu, der immer noch hinter der Presse in Deckung hockte. Als sie fast bei ihm war, die Pfanne zum Schlag erhoben, warf Kette ihr ein paar Patronenhülsen in den Weg. Sein Plan verlief wie am Schnürchen. Easy tat wutentbrannt einen weiteren Schritt und trat auf die Patronenhülsen, rutsche aus und fiel der Länge nach hin.
"Oh Gott, du bist inna Werkstatt volla Waff'n und jehst mit na Bratpfanne uff mir los", kommentierte Kette das Geschehen.
"Du blödes, dämliches Arschloch!", fluchte Easy und schlug mit Bratpfanne gegen Kettes Knöchel.
"Du elendet Biest", schrie dieser wutentbrannt und holte mit dem Stiefel aus, um auf die am Boden liegende Easy einzutreten.
"Okay, Kette, jezz reichst's!“ intevenierte Thul. „Schluss mit lustich. Du verlässt jerade sojar den Bereich des schlechten Jeschmacks. Wenn de dir nich gleich zusammenreißt, bekommst eene von mir uffn Deckel und zwar saftich."
"Hmm, vadammt, stimmt. T'schuldijung, hab ick doch glatt meen juten Marinaden vajessen", entschuldigte sich Kette und wollte Easy aufhelfen.
"Als ob du jemals Manieren gehabt hättest."
"Ey, nüscht jegen meene Manieren, alle freun sich, wenn ick die Rattensteaks in meene selbstzusammen jerührte Maniere einleje."
"Das heißt Marinade, was du meinst, Kette …", brachte der Falke sich aus dem Hintergrund ein.
"… und marinieren hat nichts mit Umgangsformen zu tun. Wie der gute Thul schon mal sagte, reißt euch mal wieder zusammen. Vertragt euch wieder, ist doch echte Kinderkacke, was ihr hier macht. Du, Easy, sei nicht so empfindlich und verliere nicht bei jedem doofen Spruch von den zwei Blitzbirnen die Fassung, die kochen auch nur mit Wasser. Und ihr zwei könntet euch auch professioneller aufführen, besonders du Kette. Man könnte meinen, dass du ein Sextaner vom katholischen Klosterinternat bist, so wie du dich benimmst."
"Ja, Papa", sagte Kette ironisch.
"Wie, das ist euer Vater?", fragte Easy entgeistert.
"Papa?", fragte Thul mit gespielter kindlicher Stimme, und mit ausgebreiteten Armen stürmte er auf den Falken zu.
"Papaaaaaaaa!"
"Nein! Gott möge mich vor so einer Brut bewahren", sagte der Falke panisch.
Währenddessen war Thul drei Schritte vor dem Falken stehen geblieben und lachte sich über die dummen Gesichter der beiden schlapp.
Eine Stunde später hatte Thul Easy in die Bedienung der Munitionspresse eingewiesen, welche sie zaghaft und mit größter Vorsicht und einem, daraus resultierenden, unglaublichen Schneckentempo bediente. Thul war mit dem Fernrohraufsatz für den Falken beschäftigt, welcher in der Kanzel der Gatling-Gun Wache hielt. Währenddessen stand Kette am Herd und bereite die Mahlzeit zu. Rattengulasch mit Mais, Erbsen und Reis.
Später beim Essen fragte Easy: "Wo das Fleisch herkommt, ist ja nun geklärt. Aber wo kommt der Rest her? Reis und Mais wachsen doch gar nicht in diesen Breitengraden. Die werden doch nach Deutschland importiert."
"Jopp, iss definitiv Importware", antwortete Kette mit vollem Mund.
"Kette, deine Manieren. Mit vollem Mund spricht man nicht", ermahnte der Falke ihn.
"Ja, aber wie kommen denn die Sachen hier runter?", fragte Easy erneut.
Thul schluckte geräuschvoll runter: "Wenn du wüsstest, wat die da oben so allet runta spülen."
"Nein! Das ist ein grausamer Scherz! Das ist nicht wahr. Das das darf nicht wahr sein!", stotterte Easy entsetzt.
Thul aß ruhig weiter, der Falke guckte betreten auf den Tisch und Kette konzentrierte sich krampfhaft auf seinen Teller und aß geräuschvoll weiter.
Schließlich brach der Falke das Schweigen: "Doch. Es wird je nach Standort gefiltert und gereinigt und anderweitig aufbereitet."
"Ihr esst Kot?"
Blankes Entsetzten stand in Easys Gesicht.
"Nein, nicht ganz. Wir verwerten die Essensreste, die in die Kanalisation geleitet werden. Die Alternative wäre Kannibalismus", erklärte der Falke.
Unverständnis stand in Easys Gesicht geschrieben.
"Wennet für dir einfacher zu vastehen iss. Jopp, wir fressen eure Scheiße. Willkommen bei de Katakombenkrüppel", sagte Kette sarkastisch.
Easy sprang auf, hielt sich die Hand vor den Mund und stürmte auf den Hinterhof.
"Solln wa deene Portion uffheben?", rief Kette ihr nach.
Würgegeräusche waren die Antwort.
"Ick gloob nich", sagte Thul.
"Hättest du es ihr nicht diplomatischer erklären können?", fragte der Falke.
"Wat? Hätte ick noch mehr Euphemismen als du benutz'n soll'n? Dit wäre ne echte Leistung jewesen. Damit hätte ick mir beim R.S.K. als Redenschreiba bewerbn könn", konterte Kette.
Nach dem Essen vorbei war kam Easy blass und erschöpft wieder rein.
"Und jetzt? Weiter arbeiten?", fragte sie Thul.
"Nee, lass ma für heute wars jenuch. Dit Soll an Munition is für heute erfüllt und bei dem Fernrohr würd ick nur noch Murks baun. Feiaabend für heute. Zeit fürn Bierchen."
"Woraus wird das Bier hier gemacht?", fragte Easy ängstlich.
"Weeste, dit iss wie mit dem Futta hier, frag lieba nich, sondan jenießit in selija Unwissenheit", sagte Kette zu ihr und gab ihr ein geöffnetes Bier.
"Thul, du erwähntest vorhin etwas von Ausgängen aus dieser Anlage." sagte Easy
"Jo, die jibts. Aber schon wie jesacht, die sind schwer bewacht. Eenen musset inna Nähe von Hellvillage jeben", sagte Kette.
"Woher willstn dit wissen?", fragte Thul.
"Weil da öftas Panza jesichtet wurdn, und damit meen ick nich die ollen Jurken der R.S.K. oder der Schwarzen Wölfe. Ick rede von neuen Kampfpanzan mit Nachtsichtjeräten, Zielcomputan und mit ohne Vabrennungsmotor", berichtete Kette.
"Ein anderer Zugang befindet sich am Alexanderplatz", sagte der Falke.
"Aha und welches Vöjelchen hat dir dit gezwitschert?", fragte Kette gehässig.
"Ich weiss zufällig genau, wo er ist", gab der Falke ungerührt zurück.
"Echt, wo denn, Meester Oberschlau?", hakte Kette nach.
"Es ist der Fernsehturm, du militaristischer Wadenbeisser." gab der Falke zurück.
"Aber den könnt ihr gleich vergessen. Mit der Feuerkraft, die dort bereitsteht, könnten die Berlin dreimal einäschern", sagte der Falke.
"Bleebt also nur noch der Ausjang Hellvillage", sagte Thul.
"Klar, wenn du eine ganze Armee platt machen kannst, ist das kein Problem. Aber ich glaube, dass das selbst eure Kampf- und Feuerkraft übersteigt", sagte der Falke.
"Qualität statt Quantität, meen Lieba", schaltete sich Kette ein
"Diese Quantität könnt ihr nie und nimmer mit Qualität wett machen", sagte der Falke.
"Zum Glück kenn ick jemanden, der dit kann", schloss Kette und lächelte in sich hinein.