Das Grauen der Tiefe: Kapitel XXXVIII

"Also …"
Mitten im Satz erschütterte ein riesiger Knall die Wände des Zimmers und lies den Staub von den Lampen rieseln.
"Was war das?", fragte Edgar erschrocken.
"Jute Frage, nächste Frage. Wenn wa hier weiter rumsitzen und uns vom Staub berieseln lassen, werden wa dit uff die Schnelle nicht rausfindn."
Edgar streckte den Kopf zur Bürotür heraus und sah andere Mitarbeiter, die sich ebenfalls verwirrt umsahen. Hinter ihm im Büro klingelte das Telefon und Hauptkommissar Schmidt ging ran.
"Büro 987, Schmidt am Apparat", meldet er sich.
"Ja, ick hab vastandn. Wir machen uns sofort uffn Wech."
Mit finsterer Miene legte er auf.
"Los, du Held vom Erdbeerfeld, komm! Wir wurden soeben zum jroßen Zampano beordert."
Edgar und Hauptkommissar Schmidt hasteten den Flur entlang in Richtung des Büros des Großkommandanten. Als sie dort ankamen, herrschte hektische Betriebsamkeit. Ein schwer bewaffneter Trupp der Hundertschaft sicherte gerade ein riesiges Loch, das in der Wand des Büros des Kommandanten klaffte. Im Vorzimmer saß der Kommandant und wurde gerade von einem Sanitäter versorgt.
"Großkommandant, was ist passiert?", fragte Edgar aufgebracht.
"Eine Bombe hat die Wand meines Büros zerstört und sollte mich wahrscheinlich töten."
"Das waren sicherlich diese Bastarde vom WKEA."
"Das vermute ich ebenfalls, Kommissar Müller."
"Ich werde alles tun, um diesen schrecklichen Vorkommnissen eine Ende zu bereiten."
"Das lobe ich mir, Kommissar Müller, mit dieser Einstellung werden Sie es noch weit bringen. Vielleicht sind Sie eines Tages sogar mein Nachfolger."
"Ich danke Ihnen, Herr Großkommandant."
An der Tür zum Büro des Großkommandanten kam es zu einem kleinem Gerangel, als Hauptkommissar Schmidt sich den Tatort angucken wollte.
"Halt! Sie haben keinen Zutritt, das ist ein Tatort."
"Und icke bin da Ermittler, du anabolikagemästeter Vollidiot."
Hauptkommissar Schmidt versuchte, sich an dem Hundertschaftsbeamten vorbei zu schieben. Der Beamte hingegen wollte ihn aufhalten und probierte, ihm den Arm auf den Rücken drehen, um ihn festzuhalten. Mit einer blitzschnellen Bewegung drehte Hauptkommissar Schmidt sich aus dem Griff des Beamten und hatte dabei dem Beamten seinen Arm auf den Rücken gedreht. Dann packte er dessen Hinterkopf und schlug diesen dreimal gegen die Türfüllung. Beim ersten Schlag erlitt der Beamte eine leichte Gehirnerschütterung. Beim zweiten wurde diese zu einer schweren und das Nasenbein angebrochen. Beim dritten und letzten Schlag brach das Nasenbein endgültig und der Beamte ging bewusstlos zu Boden. Währenddessen hatte der zweite Beamte, der ebenfalls die Tür sicherte, seine Dienstwaffe gezogen und richtet sie auf Hauptkommissar Schmidt.
"Stecken sie die Waffe wieder weg, Leutnant, und lassen sie den Hauptkommissar passieren", ermahnte ihn der Großkommandant.
Im Büro sah es schlimm aus. Überall lagen Putz- und Mörtelreste. Hauptkommissar Schmidt besah sich das Loch genauer und warf auch einen Blick hinaus. Von der geborstenen voll verglasten Front ging es fünfzehn Meter senkrecht abwärts.
"Der Kommandant hat ausgesagt, dass er hier am Schreibtisch saß und Unterlagen durchsah, als es plötzlich einen unglaublichen Knall gab und er aus seinem Schreibtischstuhl über den Schreibtisch geschleudert wurde. Danach wurde er nach eigener Aussage ohnmächtig und kam erst wieder zu sich, als sein Sekretär ihn aus dem Büro schleifte. Ich schätze, dass der Schreibtischstuhl einen Großteil der Explosion abgefangen hat."
"Der Kommandant hat wirklich nen mächtijen Schutzengel", sagte Hauptkommissar Schmidt.
"Wie ist ihre Einschätzung der Lage, Herr Schmidt?"
"Später, nich jezze. Lass uns erstmal nochn wenich hier umkieken. Mal kieken, wat wa hier noch so feinet findn."
Zurück in ihrem Büro setzte sich der Hauptkommissar an seinen Schreibtisch und legte die Füße auf selbigen.
"Also …", sagte er, guckte sich lange und aufmerksam um.
"Worauf warten Sie, Herr Kollege?", fragte Edgar.
"Obs noch ma 'BUMM' macht." Edgar verdrehte enerviert die Augen.
"Können Sie bitte zur Sache kommen?", fragte er entnervt.
"Also, wat ick vorhin erzählen wollte iss folgejendit: Als du jestern so völlig Hals üba Kopf zu Bertas Kleener uffjebrochen bist, hab ick die jute Berta jebeten, dass wenn ihr tollet Computersystem wieder uffm Damm iss, se doch für uns weiter suchen soll. Und jezze darfste dreimal raten, wat se dolles jefunden hat."
"Den Großkommandanten, das hatten Sie aber vorhin schon erwähnt."
"Hmm stimmt, haste Recht, jezz wo de dit sachst."
"Haben Sie denn auch Beweise dafür, das es so ist?"
"Bisher leida nur Indizien, aber dit sollte ausreichen. Hier wurden schon janz andere mit weitaus haarsträubenderen Indizien verknackt."
"Können Sie bitte auf den Punkt kommen?"
"Ok ok, also wie du weest, haben wa doch nach eenem Menschen jesucht, der Vabindung zu schweren Waffen und Botanikern hat, wa?"
"Äh ja. Und was hat das mit dem Großkommandanten zu tun? Er hat zwar Zugriff auf schwere Waffen, aber ich möchte sein Fachwissen auf dem Gebiet der Pflanzengifte bezweifeln."
"Da haste ausnahmsweise mal Recht, ooch wenn aus andan Motiven als icke. Der Kommandant könnte nicht mal ne Tulpe vonnem Kaktus unterscheiden. Aber sein Frauchen ist jelernte Floristin und Hobbybotanikerin. Sie hat ooch mal ne Abhandlung über die Verwendung von Pflanzengiften in der Literatur vafasst. Also wenn dit keene Steilvorlaje iss, dann musste strunzendoof sein."
"Das ist aber alles reichlich konstruiert, Herr Kollege."
"Na und? Wir sind Polizisten, wenn uns wat komisch vorkommt, dann denken wa uns was schönes dazu aus und wenn keiner widerspricht, dann ist dit so."
"Aber wie kann der Kommandant der Täter sein, wenn er selber mehrfach angegriffen wurde?"
"Hmm, dit iss eene jute Frage."
Hauptkommissar Schmidt holte ein Jo-Jo aus einem Fach seines Schreibtischs, stand dabei auf und fing an, damit zu spielen. Er lief dabei im Büro umher und sagte: "Siehste dit Jo-Jo? Wenn ick es in Bewegung versetzte, dann fängt es an zu leuchten. Da drinne sind nämlich nen paar kleene Magneten und wenn die anenander vorbei komm, machen die kurz Strom und deswegen kann dit blinken, ohne das dit Battarien braucht. Guck mal, ick kann sogar nen paar Tricks damit."
Er wechselte das Jo-Jo in die linke Hand und ließ es dreimal runter und wieder hoch rollen. Edgar beobachtet vollkommen gebannt das Jo-Jo und wartete, was sein Vorgesetzter ihm jetzt wohl präsentieren würde.
Während dieser ganzen Vorführung war Hauptkommissar Schmidt immer näher an Edgar herangekommen, so dass er jetzt direkt vor ihm stand. Das Jo-Jo rollte immer noch einfach hoch und runter. Edgar wartete gespannt auf den angekündigten Trick. Plötzlich schnellte Hauptkommissar Schmidts rechte Hand vor, kniff in Edgars linke Brustwarze und dreht diese ruckartig, so dass dieser vor Schmerz aufschrie.
"Au! Was soll der Scheiß? Das tut weh", fauchte er und hielt sich die linke Brust.
"Haste echt nicht jeblickt, worauf ick hinaus wollte?"
"Nein."
"Dit war een Ablenkungsmanöver. Du hast dir so sehr uff dit Jojo konzentriat, dit du nich jemerkt hast, dit ick direkt vor dir stehe und hast ooch wegen meener erfolgreichen Ablenkung in keensta Weese damit jerechnet, das dir nen bissl an de Nippel spiele."
"Und hat es Ihnen gefallen?"
"Nee, nicht wirklich. Die von meena Freundin sind schöner. Aber da kneiff ick ja ooch nicht rinn. Obwohl naja, manchmal schon, also wenn wa beede …"
"Nein nein nein, lalalalalalalalalala, ich will das gar nicht wissen. Lalalalalalallalalalala", sang Edgar laut und hielt sich die Ohren zu.
Er wartete, bis der Hauptkommissar aufhörte zu reden. Als sein Vorgesetzter endlich schwieg, hörte er auf zu singen und nahm die Hände von den Ohren.
"Iss dein Anfall vorbei? Biste wieda bereit, mir zuzuhören?"
Edgar nickte.
"Jut, also wo waren wir? Ach ja, also wenn meine Freundin und ick uns dit jemütlich gemacht haben und uns vielleicht nochn Gläschen Rotwein jejönnt haben, dann …"
"Nein, nein, nein! Schluss mit diesem Rumgeblödel!"
"Boah ey, du gönnst eenem aba ooch jar keenen Spaß. Na jut. Also, ick halte den Jiftanschlag und dit Bombenattentat für Ablenkungsmanöver. Die hatta jerade so übalebt. Wer würde schon ein Opfa als Täter vermuten? Hä?"
"Aber warum sollte er so etwas tun?", fragte Edgar begriffsstutzig.
"Himmel, Arsch und Zwirn nochmal, willste dit nicht kapieren, oder kannst dit nicht kapieren? Wenn du dir mal dit Büro vom Alten anjekiekt hättest, anstatt Speichel zu lecken, wäre dir uffjefallen, dit im Büro selba kaum Splitter der zerstörten Scheiben waren."
"Ich verstehe nicht, worauf sie hinaus wollen."
"Na janz einfach, dit der Explosionsdruck der Bombe dit Zeuch nach draußen jedrückt hat. Dit die Bombe drinne, im Raum detoniert sein muss. Weil von außen könn se die ja nich ran jeklebt haben."
"Warum nicht, es gbt doch soetwas wie Haftladungen."
"Dit mag ja stimmen, aber die haften nicht an den Scheiben von dit Büro. Die Scheiben haben nämlich sone supadupa da-bleibt-nix-dranne-kleben-Schicht druff. Wenn de da dranne wat festmachen willst, musste dit festschrauben, und dit würde wirklich ufffallen."
"Dann haben die Attentäter die Bomben vielleicht reingeschmuggelt und im Büro versteckt."
"Im bestbewachten Jebäude von janz Neu-Berlin? Dit gloobe ick nich, Tim."
"Tim? Ich heiße doch gar nicht Tim, ich heiße doch Edgar."
"Ach dit iss nur sone alte Redewendung. Ey, wenn du hier als Nicht-Mitarbeiter rinn willst, dann musste dir vorher am Einjang fast komplett nackich machen, damit de rinn kommst, ohne gleich abjeknallt zu werden. Ick halte dit für logischa, dit der Alte persönlich die Bombe rinn jeschafft hat. Und dann hat hoch jehen lassen, um für ordentlich Tohuwabohu zu sorgen. Wat ihm ja ooch jut jelungen ist."
Während des Vortrags hatte sich Edgars Miene immer mehr verfinstert: "Ich wünsche, dass Sie mir bis morgen handfeste Beweise vorlegen. Ich werde jetzt meinen eigenen Ermittlungen nachgehen. Auf Wiedersehen, Herr Schmidt."
Edgar verließ den Raum.
"Na, im Schlüppi von deina Kleenen wirst wohl kaum wat finden", sagte er zu der geschlossenen Tür.