Das Grauen der Tiefe: Kapitel XXXIX
09.09.2010 - 12:42 von Redaktion"Soweit ick mir erinnan kann, ham wa da noch ne Rechnung offen." sagte Thul
Beide nahmen eine Kampfhaltung ein.
"Ick stör eua Vorspiel ja nur unjern. Aber wenn ick dit richtig sehe, bekomm wa Besuch von den Kameraden von Easys 'Laubsäjearbeit'", bemerkte Kette.
"Hä, wat meinst'n damit?", fragte Sam.
"Wenn wa jut sind, kriegst'n neu'n Panzer, Sam."
"Und wenn nicht?"
"Dann iss ooch ejal. Ick gloob nich, dit die wegen nem Teller Rattenjulasch vorbei kieken."
Zu Thul sagte Kette: "Ey, sach mal, hast wat jegen Panza?"
"Ja."
"Wattn?"
"Ick find die scheiße"
"Dit iss allet?"
"So uff de Schnelle? Jopp."
"Is ja bissl dürftig."
"Hab ick jemals was anderes behauptet?"
"Nee."
"Na siehste."
"Boah, könnt ihr beeden Idioten ma kurz mit dem Dummschwätzen uffhören und euch uff unsa konkretet Problem konzentrian", mischte Sam sich ein.
"Jo, könn wa. Also irjendwelche Vorschläge? Ick lausche gebannt euren Ideen", sagte Kette.
"Unsere einzije Hoffnung besteht dadrinne, dasse nur Schützenpanza ham. Die könntn wa noch nen bissl mitm MG und ganz, ganz, ganz viele Granaten beharken. Danach iss Essig", sagte Thul.
"Klingt doch nach nem Plan."
"Und danach?", fragte Thul.
"Taktischer Rückzug."
"Sach mal, dir haben se wohl zu oft inne Eier jetreten, dass du uff den Trichter kommst, dit ick meene Werkstatt im Stich lasse", sagte Thul und zeigte Kette dabei einen Vogel.
"Nu kommt ma wieda runta, lasst uns erstma kieken und abwarten, was da überhaupt kommt", meinte Sam, um die beiden zu beruhigen.
Easy wurde geweckt und alle Stationen besetzt. Eine Minute später schlug die erste Granate vor der Werkstatt ein.
"Lass es Mörser sein, bitte bitte lass es Mörser sein!", flüsterte Kette leise zu sich.
"Warum wünscht du dir, dass es Mörser sind?", fragte Easy, die ihm als Ladeschütze assistierte.
"Weil es leichter ist, eine Mörserstellung zu vernichten, als Thul gegen seinen Willen aus der Werkstatt zu bekommen. Der würde sich lieber am letzten Mörtelrest im Boden festbeißen, als sich vertreiben lassen." erklärt Kette.
"Du hastn doch alebt, alset darum jing, Aknes aus da Köpi abzuholen."
"Warum ist er so auf diese Werkstatt fixiert?"
"Keene Ahnung. Dit musst du ihn selber fragen."
Langsam näherten sich die Fahrzeuge und die Männer der Schutztruppen. Plötzlich erhellte ein kontinuierlicher Lichtstrahl das Dunkel vor der Werkstatt, zu dem sich bald ein zweiter gesellte. Es war das Mündungsfeuer der Gatling-Gun und das der Maschinenkanone. Unregelmäßig detonierten Granaten aus einem Granatwerfer. Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerriss eine Panzergranate der Schutztruppen den Giebel der Werkstatt. Balken und Steine stürzten zu Boden.
Durch das Schutzgitter bekamen Kette und Easy nur Staub und Dreck ab. Was den beiden kaum etwas ausmachte, sie hielten ihr Sperrfeuer gegen die Soldaten aufrecht. Im Gegensatz zu den beiden machten der Staub und Dreck dem Maschinengewehr schon etwas aus, so dass es eine Minute nach dem Treffer am Giebel verklemmte und nicht mehr schoss. Kette schnappte sich ein Sturmgewehr und schoss nun gezielt auf die Angreifer. Aber es waren zu viele.
Nach dieser Erkenntnis rief er zu Thul: "Keule, ick kann die Gatling-Gun-Stellung nich mehr halten. Dit sind zu viele, und se sind zu jut ausjerüstet. Wir müssen hier raus, schleunigst! Bevor se uns kesseln und den Sack zumachen."
Er schnappte sich Easy und lief mit ihr zur Maschinenkanone, an der Thul verbissen weiterhin zurückschoss. Unterwegs stieß Sam zu ihnen.
"Taktischer Rückzug?", fragte sie knapp.
"Jo. Ick will nur noch Thul einsacken", antwortete Kette.
Im Laufen schnappte sich Sam eine alte Repetierbüchse, die an der Wand lehnte.
"Du hast hier Waffen vom feinsten. Und da schnappste dir sonen olln Schiessprügel?", fragte er sie.
"Vertrau mir, ick wees wat ich tue", gab sie knapp zurück.
"Ey, Keule, nu komm, der Fisch iss jeputzt. Außa abhaun können wa hier nix mehr machen", rief er zu Thul, als sie bei ihm ankamen.
"Nix da. Ick bleib hia! Mich bekommt hier keener raus!"
Draußen erklangen die Detonationen der Tretminen.
"Jeht ihr schon mal vor, ick überzeug den jungen Herrn hier schon davon, dassa mitkommt."
"Wie willstn dit anstellen?"
"Lass mir nur machn", rief Sam zurück.
Zu Thul: " Kommste freiwillig mit, oder muss ick dir mir erst jefügich machen?"
"Mir kriegt hier keener raus! Um nichts inna Welt lass ick meene Werkstatt im Stich."
Sam erkannte ihren eigenen Irrsinn in Thuls Augen und schlug ihn mit dem Gewehrkolben ohnmächtig. Sie verließ, mit ihm über ihrer Schulter, die mittlerweile in sich zusammenbrechende Werkstatt.
Kette und Easy rannten, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Unterwegs verloren sie sich, aber das bemerkte Easy nicht. Sie rannte nur noch um ihr Leben. Unter einer Straßenbrücke verschnaufte sie. Auf ein Mal bewegte sich hinter ihr etwas.
"Wer da?", fragte eine gebieterische Stimme.
Aus dem Dunkeln trat ein Soldat der Städtischen Schutztruppe mit dem Gewehr im Anschlag.
"Mein Name ist Isabell Stürmer. Ich bin die Tochter des Großkommandanten, Ihrem Vorgesetzten", sagte Isabell mit zittriger Stimme.
"Sind sie allein, Frau Stürmer?", fragte der Soldat.
"Ja warum?"
Der Bewaffnete kam näher und senkte seine Waffe.
"Darum!", sagte er und ergriff ihren Arm, drehte ihn ihr auf den Rücken.
Ehe sie sich versah, lag sie mit auf den Rücken gefesselten Händen auf dem Boden.
"Nix da mit Isabell Stürmer, du bist nur ne kleine abgeranzte Katakombenschlampe, die gleich so richtig durchgefickt wird."
Der Soldat legte seinen Rucksack und seine Dienstwaffe ab. Er schob ihren Rock hoch, zerriss ihre Unterwäsche und öffnete seine Hose. Isabell wusste, dass niemand sie hören würde. Ihr Peiniger kniete sich jetzt vor sie hin, um sich an ihr zu vergreifen. Isabell blieb nichts anderes übrig, als mit vor Schreck geweiteten Augen zuzusehen. Plötzlich schälte sich aus der Dunkelheit zu ihrer Rechten eine zweite Gestalt. In seiner Geilheit von seiner Umgebung vollkommen abgelenkt, hörte er nicht das metallische Quietschen hinter sich. Infolgedessen hörte er auch nicht den Schrei, den Isabell ausstieß, als sein Kopf in ihren entblößten Schoß rollte. Sie sah Kette mit hassverzerrter Miene und einem Klappspaten in der Hand.
"Niemand vergeht sich an unseren Kollektivmitgliedern!", knurrte er zu der Leiche des Soldaten.
Er half Easy auf und schnitt ihre Fesseln durch, zog dem Toten die Kleider aus und warf sie Easy hin: "Komm, die wern sich sicha bald wundan, wo ihr Kamerad bleibt und nach ihm suchen."
"Nein, ich will nicht mehr wegrennen. Ich will nach Hause!"
"Ick ja ooch, nur dit wurde jerade von diesen glorreichen Schutztruppen platt jemacht."
"Nein, ich will in mein Zuhause, wo ich herkomme", schrie sie hysterisch und fing an zu weinen.
"Von mir aus, ooch dahin. Hauptsache, erstma wech von hier. Nu komm, jezz werd bitte nich bockig."
"Und wohin willst du? Du großer Anführer."
"Erstma raus."
"Achja und wie?"
"Da Hellvillage ausjefallen iss, übern Alex. Wenn dit Jerücht stimmt, von dem mir die jute Isolde ma erzählt hat, dann iss in de Uniformen von den blutrünstigen Karnevalisten hier son Riffelchip oder so ähnlich drinne. Jedenfalls soll sone Uniform die Waffensysteme am Alex ausschalten."
"Ich bin also nur dein Schutzschild, damit du nicht am Fuß des Fernsehturms zusammengeschossen wirst?"
"Wennet dir bessa jeht, kannst du ja wieder dein zerissenet Bettlaken anziehen und icke trag die Uniform von dem Schwanzjesteuerten."
"Nein nein, ist schon gut. Die müsste mir passen."
Als sie die Uniform angezogen hatte und wieder zu Kette kam, meinte er: "Steht dir, der Fetzen."
Und grinste anzüglich dabei. Sie machten sich auf den Weg zum Alexanderplatz, stets auf ihre Umgebung achtend.
Als sie an einem alten rosafarbenen Einkaufszentrum nahe des Alexanderplatz vorbei liefen, stand plötzlich vor ihnen ein Posten der R.S.K., zwei Gefreite und ein Feldwebel.
"Halt, Straßenkontrolle! Weisen Sie sich aus!"
"Hach, Scheiße, ihr habt mir grade noch jefehlt in meena Raupensammlung. Nich jenuch das meen Zuhause einjestampft wurde und mir die Schutztruppen am Arsch kleben. Jezze müsst ihr Kaspaköppe ooch noch ufftauchen und mir quer schießen. Irjenwann iss doch mal jenunch, oda nich? Wat meint ihr?"
Der Feldwebel begann seine Ansage erneut aufzusagen: "Weisen Sie si …"
Weiter kam er nicht. Kette hatte sein Gewehr noch nicht ganz im Anschlag, doch die zwei Gefreiten lagen schon tot hinter dem Feldwebel.
"Nein!", rief jemand von oben.
Kette schaute verwirrt nach oben.
"Der gehört ganz allein mir!", tönte die Stimme.
Oben auf dem Gebäude stand, durch seinen Kopfverband unverkennbar, der Falke. Easy starrte immer noch wie gebannt auf den Feldwebel des R.S.K. Der zuckte kurz und fiel tot um. Aus seinem rechten Auge floss Blut und bildete mit dem Staub auf der Straße eine rote Schlammpfütze. Kurz darauf kam der Falke aus einem der vielen zerbrochenen Schaufenster und setzte sein Stencil an die Wand über den Leichen.
"Schöne Grüße an Thul. Sein Zielfernrohr ist klasse", sagte er zu Kette.
"Wie ich sehe, habt ihr es geschafft, eine der Uniformen der ruhmreichen Schmutztruppen zu ergattern", stellt er fest, als er Easy betrachtete.
"Ich muss sagen, steht dir."
Easy verdreht die Augen.
"Was habt ihr damit vor? Wollt ihr die Überwachungssysteme am Fernsehturm überlisten?"
"Jo, woher weestn ditte?"
"Das haben schon einmal ein paar Leute versucht. Das war eine tierische Sauerei. Die hat es über den kompletten Platz verteilt."
"Scheiße, un nu?"
"Naja, durch langes Studium der Umgebung weiß ich, wo alle Bewegungsmelder und Kameras sind. Und dass sie alles andere als beschussfest sind."
"Ok, dann schaltn wa se aus, und dann jehts rinn."
"Hat sich was mit ausschalten. Zumindest mit deiner Erbsenpistole, die du da hast. Eh du überhaupt in Reichweite mit deiner Waffe bist, haben die Waffensystem dich schon ausgeschaltet. Da musst du schnell und präzise vorgehen. Nichts gegen dich, aber du bist doch eher der Mann fürs Grobe."
"Kannstes etwa bessa, alta Klugscheisser?", fragte Kette herausfordernd.
"Klar. Und ich beweise es dir. Hast du eine Uhr?"
"Jo hab icke, hier."
Kette hielt das Handgelenk des Toten Soldaten hoch.
"In fünfzehn Minuten seid ihr vor dem Fernsehturm, fünf Minuten später werde ich alle Kameras, Bewegungsmelder und Mikrophone ausgeschaltet haben. Danach habt ihr drei Minuten, um zu der Aufzugstür zu kommen."
"Woher weißt du das alles?", fragte Easy
"Jetzt ist keine Zeit für lange Erklärungen. Vertraut mir. Wenn ihr bei der Fahrstuhltür seid, müsst ihr den Wartungsschacht nehmen. Der ist nicht überwacht. Wenn ihr oben seid, merkt euch stets eins: Vertraut dort oben niemandem. Wenn du recht hast und die Schutztruppen euch auf dem Kieker haben, dann ist Eile geboten. Und jetzt los!"
Zehn Minuten später standen Kette und Easy vor dem Fernsehturm. Weitere fünf Minuten später begann der Falke sein Versprechen einzulösen. Überall in ihrer Umgebung funkte und blitze es immer wieder auf. Und noch einmal fünf Minuten später standen Easy und Kette vor dem Aufzug und zwängten sich durch die winzige Luke in den Wartungsschacht. Für Easy nicht das geringste Problem. Kette musste zum Durchkommen seine heißgeliebte Lederkutte ablegen. Nun kam der anstrengendste Teil, nämlich der mehr als zweihundert gefühlte Meter lange Aufstieg. Als sie oben waren, mussten sie erst mal zu Atem kommen. In welche Richtung sollten sie nun weiter?
"Hier steht 'Zuluft'. Und da ist ein Pfeil, der nach rechts zeigt", las Easy vor.
"Dann sollten wir in die entgegengesetzte Richtung gehen."
Als sie weiterkrochen, wurde der Kanal langsam größer.
"Pssst!", sagte Kette plötzlich, "Hörste dit"
"Was meinst du?"
"Klingt wie dit Ende unsarer Reise."
"Wie bitte, drück dich doch mal klarer aus."
"Nen Ventilator. An dem kommen wa nich vorbei."
Easy verdreht die Augen: "Dein viel gerühmtes Improvisationstalent hast du wohl unten vergessen? Da wirft man eine Kette rein und das Ding hält an oder löst sich in seine Bestandteile auf."
An dem Ventilator angekommen, warf Easy wie vorgeschlagen eine von Kettes massiven Ketten in den Ventilator. Mit dem was passierte, hatte keiner von beiden gerechnet. Der Ventilator schien zu explodieren, unzählige messerscharfe Metallsplitter schossen kreuz und quer durch den Kanal.
Kette riss Easy hinter sich und wandte dem Ventilator den Rücken zu. Seine Lederjacke half, den größten Schaden abzuwenden. Ein Metalldorn bohrte sich dennoch in seinen Oberarm, ein weiterer rasiermesserscharfer Splitter riss ihm das rechte Ohrläppchen weg und ein dritter Splitter zerschlitzte sein linkes Ohr. Easy schrie wie am Spieß, doch Kette hielt ihr den Mund zu und sie biss ihm vor Angst so fest in die Hand, dass er dort auch noch blutete. Nach einigen Sekunden war der Spuk vorüber und lediglich die Nabe des Ventilators drehte sich, als wäre nichts gewesen. Der einzige Vorteil des Zwischenfalls war, dass sich dadurch das Abdeckgitter nach draußen gelöst hatte und die zwei schnell und problemlos nach draußen gelangten.