Das Grauen der Tiefe: Kapitel XLVI
09.09.2010 - 12:42 von RedaktionAls ihre Lippen sich berührten, erschien es Easy, als ob die ganze Zelle unter dem Kuss erbeben und erzittern würde. Sie genoss es. Am Anfang nur eine flüchtige Berührung, doch schon beim zweiten Mal blieben sie länger zusammen. Beim dritten Mal wollte sie mehr und presste ihre Lippen fest auf Kettes. Währenddessen verstärkte sich auch das bebende Gefühl in Easys Bauch. Beim vierten Mal wurde es ein Zungenkuss und in Easys Bauch explodierte eine Silvesterrakete. Selbst den Knall konnte sie hören.
Als sie die Augen wieder öffnete, hatte die Zelle sich grundlegend verändert. In der Rückwand klaffte ein riesiges Loch. In diesem Loch stand ein ebenso riesiger Panzer.
Aus dem Inneren hörte sie dumpf die Worte: "Treffer, versenkt!"
Oben auf dem Turm öffnete sich eine Luke und Thul kam zum Vorschein: "So, wenn ihr euer kleenet Balzritual uff späta vaschieben könntet, dann würde ick hier janz jerne vom Hoff reiten, weil ick gloobe, dit die Mitarbeiter von dem Verein hier allet andere als glücklich sind, dit wa vier von ihren tollen Zimmerchen kaputt jemacht haben."
"Wo kommt ihr denn her?", fragte Easy, die völlig verblüfft war.
"Draußen vom Walde, da komm wa her, ick muss euch sagen, dit eilt sehr. Die Bullen haben wir am Hacken, und Sam muss ziemlich dringend - nen Formular abjeben."
"Geile Scheiße, Alter. Schickes Spielzeug, darf ick ooch mal?", fragte Kette.
"Wollta nich erstma an Bord kommen?"
"Wo solln wa hin?"
"Erstma Helme uff und dann jehst du Kette nach vorn als Beifahrer und Easy, du schleichst dir zu mir nach hinten als Ladeschütze."
"Schützin, bitte sehr." ermahnte Easy ihn.
"Efrauze", schimpfte Thul.
Thul und Sam gaben ihnen Helme und alle verschwanden im Panzer.
"Warum habtan solange jebraucht, bissa hier wart?"
"Wir waren noch im Tierpark, im Naturkundemuseum, im Kino und bei McDonalds."
"Wie? Ihr wart im Tierpark, im Naturkundemuseum, im Kino und bei McDonalds? Feiert ihr hier einen Kindergeburtstag?"
"Ey Püppi, jegen den Kerl neben dir iss alllet nen Kinderjeburtstach. Aussadem weeste doch: 'Männer werden nich erwachsen, se brauchen nur größeret Spielzeuch.' Watt Thul hier mit mal wieda eindrucksvoll unta Beweis jestellt hat."
"Wie waret im Kino?", erkundigte sich Kette.
"Der Film war scheiße, dit Kino zu kleen, die Leute haben dauand dazwischen gekreischt, und die Städtische Schmutztruppe hat uns rausjejacht."
Mit einem Ruck hatte Sam den Panzer wieder in Bewegung versetzt. Er drehte sich auf der Stelle und vergrößerte das Loch in der Zellenwand. Im Hof hatten schon einige schwer gerüstete Beamte der Schutztruppe Stellung bezogen und hielten Granatwerfer in den Händen.
"Uhh, jezze wird's unjemütlich", kommentierte Kette die Szenerie.
"Wie kommste denn uff dit dünne Brett, Keule?", erkundigte sich Thul.
"Die ham Granatwerfer."
"Na und, ick hab schon Knallerbsen jesehen, die jefährlicher warn. Dürfte ick dir bitten, ziwschen eina von de drei Jatling-Juns zu wählen, um uns die Belästigung vom Hals zu schaffen? Die Idioten verfangen sich immer so doof in den Ketten, wenn man üba se rüba fährt."
"Woah, watt? Dreie? Fett! Boah Keule, wärste ne Frau, ick würde dir nen Heiratsantrag machen, jezz, hier un sofort."
"Vastehste jezze, wat ick vorhin jemeint hab?", mischt Sam sich ein.
"Hmm, aber du musst erwähnen, dassa weder zu den Wölfen noch zu de R.S.K. jehört."
"Keule, aber wir leben doch schon fast inna eheähnlichen Gemeinschaft."
"Weil wa uns jenauso oft streiten wien Ehepaar?", fragte Thul.
"Nee, weil wa jenauso oft Sex haben wien 20 Jahre lang verheiratetes Ehepaar."
Easy fiel bei diesem Dialog die Kinnlade runter: "Was? Ich dachte du stehst auf Frauen."
"Ey, nu bleib mal janz ruhig Püppi. Die beeden sind Waffenbrüder, keene warmen Brüder. Diesen verbalen Dünnschiss musste doch mittlerweile von denen kenn, oda nich?", beruhigte Sam sie.
"Ey, ick kann mir nich entscheiden, womit ick die Kaspaköppe da draußen platt machen soll. Soviel tolle Sachen", jammerte Kette.
"Thul, ick nehm deiner Ehefrau mal die Entscheidung ab, damit wa hier heute noch wech kommen."
"Ey, sach mal, seit wann bin ick denn die Frau bei uns?", meckerte Kette.
"Seit du rummjammerst wie ne Tussi mit nem 100%-Rabatt-Schein auf ein Paar Schuhe im Schuladen", gab Sam zurück und fuhr los.
Die Beamten schossen auf den Panzer, doch die Granaten explodierten ohne sichtbare Wirkung.
"Wo müssn wan jezz hin?", fragte Sam.
"Raus hier", war Thuls Antwort.
"Ach nee, du Klugscheissa, und wo iss bitte sehr raus?"
"Na, in da Jejenrichtung von rinn, iss doch vollkommen lojisch."
Sie fuhren los.
Als sie wieder durch das Loch in der Kasernenmauer fuhren, beschwerte sich Kette: "Dafür, dit hier allet so toll und neu sei soll, sind die Straßen selbst für nen Panza ziemlich beschiss'n."
"Die Straßen hier sind scheiße, die könn' nüscht ab. Halt lieba die Oogen offen, nich dit uns noch son doofer Heckenschütze mit na Panzafaust uffs Korn nimmt."
"Wo wollt ihr eijentlich hin?" fragte Easy.
"Raus", sagte Thul.
"Raus wohin?"
"Raus aus Berlin. Warum fahrtan dann rein?"
"Wir fahr'n einfach den Wech zurück, den wa jekommen sind. Da wa von draußen jekommen sind, führt uns der Rückwech ooch wieder nach draußen."
"Habt ihr keine Straßenkarte von Berlin?"
Sam mischte sich ein: "Wir ham son Gehpehess-Dingens, aba dit bringts nich so wirklich."
"Dann zeige ich euch, wo es lang geht, ich kenne mich hier aus."
"Supa, jetzt sagen uns schon die Hippies, wo's lang jeht."
"An der nächste Kreuzung rechts", sagte Easy.
Sie fuhren weiter.
Als sie an der Kreuzung ankamen rief Easy: "Halt!"
"Wattn jezz los?"
"Die Ampel ist doch auf rot."
Thul feuerte eine Salve aus dem Maschinengewehr auf die Ampel ab: "Jezz nich mehr."
"An der nächsten Kreuzung links."
Nach dem sie abgebogen waren, fiel Easy etwas ein: "Oh nein, ich hab vergessen, dass der Mehringplatz mit Pollern abgesperrt ist."
"Ja, und was machen die?", fragte Sam.
"Die hindern Autos daran, dass sie da rauf fahren können."
"Diese knuffigen, kleenen, süßen Töff-töffs, die hier immer am Fahrbahnrand stehen?"
"Ja."
"Wo issn dann dit Problem?"
"Das wir da nicht durch können"
"Wieso nich?"
"Na … weil da die Poller sind."
"Hör ma zu, meene Kleene, wir sitzen in einem neunzich-Tonnen-Panza und dit letzte, was uns aufhalten wird, sind diese popeligen Anti-Auto-Puller. Für uns sind dit höchtens ein paar dickere Grashalme und wir sind der Rasenmäher."
Sam gab Gas und fuhr unbeirrt weiter.
Auf einmal polterte und schepperte es draußen: "Also wenn dit deine ach so schröcklichen Puller waren, dann sind die noch langweiliger, als ick jedacht hab."
"Wo sind wan jezze?", fragte Kette, nachdem sie den Mehringplatz ein Weile hinter sich gelassen hatten.
"Wir müssten gleich auf der Friedrichstraße sein", antwortete Easy.
Vor ihnen standen mehrere Fahrzeuge mit dem Wappen der Städtischen Schutztruppe in zwei Reihen hintereinander, quer auf der Fahrbahn. Sam brachte den Panzer kurz davor zum Stehen.
Von außen kam eine Ansage: "Achtung, Achtung, hier spricht die Städtische Schutztruppe. Stellen sie den Motor aus und kommen sie langsam aus dem Fahrzeug heraus!"
"Mein Gott, wie pötisch sie doch sind, diese Kettehunde", komnentierte Kette die Ansage.
Sam fragte Thul: "Ey Schnurzel, sind die beeden großen Rohre wieda jeladen?"
"Jib uns drei Minuten Zeit, dann sind ses."
"Du hast zwei."
"Ok, ich schaffs in einer."
Thul und Easy luden die beiden 88mm Geschütze. Währenddessen fuhr Sam mit dem Panzer zügig rückwärts.
"Hä? Wat, fliehen wir etwa?", fragte Kette verwirrt.
"Nix da Flucht, ick hol nur Anlauf."
"Fertig, Herr Panzerkommandant", meldete Thul.
"Dit ick ne Frau bin, dürfte ick dir ja vorhin eindrucksvoll bewiesen haben, du Kaspakopp."
"Uff eene unnachahmliche Art und Weise", bestätigte Thul.
"Dann reißt dir jefälligst mal am Riemen. Sonst kannste dir in Zukunft an selbijem wieda alleene rumspieln."
"Seid ihr zwee bald mal fertig mit euren Fisematenten?"
"Jo. Bei 'Los' fang wa an, bei 'Jezz' hörn wa uff. Los jezz!."
Sam fuhr los und feuerte zehn Schuss hintereinander auf die aus Fahrzeugen bestehende Barrikade. Als die Salve abgefeuert war, senkte sie den Schild und brach durch die Fahrzeugwracks.
Während sie durch die glitzernde Welt der Konsumtempel der Friedrichstraße brausten, hatten Kette und Thul einen Heidenspaß daran, die Glasfassaden von Esacda, LaFayette und den anderen Läden mit den Maschinengewehren und Gatling- Guns zu zerschießen.
"An der nächsten Kreuzung rechts", sagte Easy.
Als sie abgebogen waren, fragte Thul:"Wer isn der Typ das vorne uff'm Pferd?"
"Das müsste das Reiterstandbild von König Friedrich dem Großen sein", antwortete Easy.
Thul fing an, an dem Turmgeschütz herumzufummeln, es zu laden und auszurichten. Worauf konnte Easy nicht erkennen.
Beim Passieren der Statue passierten öffnete Thul die Turmluke und rief laut: "Jott schütze den Könich!"
Nach einer Pause hörte sie: "Denn wir tun dit nich."
Dabei schoss er eine Granate ab und zerstörte das Standbild.
Als er wieder im Panzer war, fragte ihn Easy: "War das wirklich nötig?"
"Jupp, weilet een elenda Monarch war."
"Och, ick fand den eijentlich janz kuhl", mischte sich Kette ein
"Iss ja ooch keen Wunda, du bist ja ooch Anarcho-Monarchist."
Auf einmal legte Sam eine Vollbremsung hin.
"Plenum!", rief sie.
"Veto!", rief Thul.
"Also, ick hab da Bauchschmerzen bei", sagte Kette.
Easy guckte von einem zum anderen zum Dritten: "Haltet ihr das für eine gute Idee, hier mitten auf der Straße anzuhalten?"
"Wieso? Haste Angst, dit wir nen Stau verursachen?"
"Ich meine nur wegen meinem Vater."
"Na und? Wat iss mit deim Papi?"
"Er ist der Großkommandant der Städtischen Schutztruppe."
Alle drei schauten Easy sprachlos an. Das einzige Geräusch im Panzer war das Dröhnen des Motors.